Folgende Schriften scheinen uns (leider immer noch) sehr aktuell zu sein:

Ostermarsch

Von Henning Köhler ✝︎, April 2021

Diese Kolumne (verfasst Ende März), erscheint erst jetzt. Ich kann es mir also sparen, zur Teilnahme an den diesjährigen traditionellen Ostermärschen für Frieden und Abrüstung aufzurufen. Man wird wieder traurige oder höhnische Kommentare darüber lesen, wie unbedeutend die »alte« Friedensbewegung geworden ist.

Vor gefühlt tausend Jahren lautete ein Slogan der Jugend: »Frieden schaffen ohne Waffen!« Wen interessiert das noch? Der Soziologe Manuel Arias Maldonado brachte es kürzlich auf den Punkt: »Hören Sie doch auf mit der Revolution, die Leute wollen ihr iPhone.« Globale Entmilitarisierung wäre eine historisch beispiellose kulturelle Revolution gewesen. Daran glaubten wir als junge Menschen. Nun schreitet eine andere Revolution unaufhaltsam fort: die digitale. Immense Umweltschäden resultieren daraus. Zugleich wird aufgerüstet, was das Zeug hält. Und überall wuchert Hass.

Am 21. April 2019 gab Stephan Hebel in einem Kommentar der Frankfurter Rundschau seiner Hoffnung Ausdruck, dass die ökologisch ausgerichtete Fridays-for-Future-Bewegung mit der Friedensbewegung zusammenfinden möge, um »gemeinsam die herrschende Politik aus der gewohnten Bahn zu werfen«. Das für Rüstung ausgegebene Geld werde dringend benötigt, um den Klimawandel zu stoppen. Insofern hätten die jungen Umweltaktivisten und die (größtenteils schon ergrauten) Ostermarschierer ein gemeinsames Anliegen. Kämpfer für Umweltschutz, Frieden und soziale Gerechtigkeit, so Hebel, sollten sich verbünden. Alsbald kam die Corona-Krise und verdrängte alle anderen brennenden Themen.

Am 22. Januar 2021 trat der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) der Vereinten Nationen in Kraft.[1] 52 Staaten haben die Vereinbarung bislang unterzeichnet. Deutschland gehört nicht dazu. Der AVV verbietet die Entwicklung, Produktion, Testung, Lagerung, Stationierung, den Transport und natürlich den Einsatz von Nuklearwaffen.[2] Maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des Vertrags war die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Mit von der Partie sind die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), Greenpeace und weitere Nichtregierungsorganisationen.[3] Am 13. Januar 2021 forderten 22 Bundestagsabgeordnete der Grünen die deutsche Regierung in einem Eilantrag auf, dem AVV beizutreten.[4]

Vergebens. Der Regierungssprecher ließ wissen, die NATO als Verteidigungsbündnis sei zwecks glaubhafter Abschreckung auf Atomwaffen angewiesen. (Dass längst eine NATO-Erstschlags-Option festgeschrieben wurde, verschwieg er tunlichst.)

Waldorfschulen sollten sich aus der Parteipolitik heraushalten, das stimmt. Aber nicht aus zentralen ethischen, humanitären Fragen. Und dazu gehört ja wohl die Freiheits- und Friedensfrage. Wenn der Bund der Freien Waldorfschulen nächstes Jahr zur Teilnahme an den Ostermärschen aufrufen würde, wären mit Sicherheit viele Schülerinnen und Schüler aus den Oberstufen begeistert dabei. Eltern und Lehrer hoffentlich auch.

[1]   https://www.un.org./Depts/german/conf./a-conf-229-17-8.pdf

[2]   Nicht zu verwechseln mit dem Atomwaffensperrvertrag, durch den sich die Großmächte ein nukleares Privileg sicherten.

[3]   86% der deutschen Bevölkerung sind gegen Atomwaffen. Aktivitäten, Initiativen: https://nuclearban.de

[4]   https://dip.21.bundestag.de/dip21/btd/19/258/1925811.pdf

 

https://www.erziehungskunst.de/artikel/kolumne/ostermarsch/

Kinderfreunde aller Länder vereinigt euch

Von Henning Köhler, November 2018

Die UNO erkor den 20. September zum Weltfriedenstag, den 21. September zum Weltkindertag. Darauf möchte ich etwas verspätet Bezug nehmen.

Ob absichtlich oder zufällig zwei direkt aufeinander folgende Tage bestimmt wurden, um an den Weltfrieden und an das Wohlergehen der Kinder zu gemahnen, sei dahingestellt, Sinn ergibt es allemal. Die Friedensfrage und die Kindheitsfrage sind unauflöslich verknüpft. Wer Kinder liebt, müsste eigentlich Pazifist sein. Oder wenigstens mit Pazifisten sympathisieren. Das Recht der Kinder, in einer Welt ohne Krieg aufzuwachsen, ist unverhandelbar, oder?

Sicher, Pazifisten sind extrem unrealistische Leute. Aber man sieht ja, was die Realisten anrichten. Überall wird tadellos realistisch aufgerüstet, und Aufrüstung ist Kriegsvorbereitung, wie man es auch dreht und wendet.

Man mag das Wort »Realpolitik« gar nicht mehr hören. Selten ist etwas Gutes damit gemeint. Beispiel gefällig? Deutsche Rüstungskonzerne machen glänzende Geschäfte mit Saudi-Arabien und leisten somit Beihilfe zum Tod tausender jemenitischer Kinder. Die Bundesregierung lässt es zu. Realpolitik. »Krieg beginnt vor unserer Haustür«, sagte dazu am Weltfriedenstag Jörg Meyrink, Sprecher des Bündnisses »Block war«. Auch beim türkischen Überfall auf kurdische Gebiete rollten deutsche Panzer. Niemand hat gezählt, wie viele Kinder dabei starben.

Ich bin 67 Jahre alt. Mein bescheidenes Engagement für den Frieden reicht fast 50 Jahre zurück. In diesem Zeitraum hat sich vieles geändert, und längst nicht alles zum Guten. Am meisten betrübt mich, dass die Friedensbewegung in der Bedeutungslosigkeit versunken ist (oder von Kräften gekapert wurde, denen es bei Gott nicht um Frieden geht). Was Not tut, ist eine neue, beherzt unrealistische Friedensbewegung mit dem Schwerpunkt Kinderrechte und Kinderschutz. Die Losung könnte lauten: Kinderfreunde aller Länder, vereinigt euch! Entzieht Politikern, die nicht für Abrüstung und Frieden eintreten, das Mandat! Und als Zusatz: Kinder haben keine Nationalität. Alle Kinder sind Kinder der Menschheit. Die Verantwortung für leidende Kinder – wenigstens für sie – ist grenzenlos.

Am 19. September, zwei Tage vor dem Weltkindertag, veröffentlichte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen eine Pressemitteilung über das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Auszug: »Viele Kinder, die bereits Traumatisches erlebten, werden in Moria erneut traumatisiert. Immer mehr Minderjährige leiden unter Panikattacken, Selbstmordgedanken oder haben bereits Selbstmordversuche unternommen.« Von »unmenschlichen Bedingungen« spricht die dort tätige Psychologin Giovanna Bonvini. 9.000 Menschen sind in dem Lager zusammengepfercht, davon 3.000 Kinder, größtenteils Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten. Ein Ergebnis des EU-Türkei-Deals. Hierzulande und überall in Europa aber geht die Hetze gegen Asylsuchende munter weiter.

Ach, übrigens: Ich plädierte unlängst dafür, an Waldorfschulen jährlich einen Tag des Asyls einzurichten. Für die Oberstufenschüler. Null Reaktion.

Quelle: Kinderfreunde aller Länder vereinigt euch - Erziehungskunst

Mit Kindern Leben gestalten in der Corona-Krise - ein Elternbrief von Henning Köhler (Kopie)

JKI_Elternbrief-Corona_Henning-Koehler_04-2021_web.pdf (1.020,1 KiB)